Das Schöllkraut

Heilpflanze, Zauberkraut und Wundermittel

Bei einer uralten Heilpflanze wie dem Schöllkraut ist es kaum verwunderlich, wenn ihr im Volksglauben wahre Zauberkräfte zugesprochen wurden. Der Name verrät es bereits. Von der Wunderkraft berichtet eine Sage. Demnach habe eine Schwalbe ihr Junges mit Schöllkraut von Erblindung geheilt. Hinter dieser Überlieferung steckt die Behauptung des griechischen Arztes Dioskurides, der schrieb, wenn eine junge Schwalbe zu erblinden drohe, hole die Mutter Schöllkraut herbei, um das Augenlicht zu retten. Entsprechend dieser Behauptung bekam die Pflanze die Bezeichnung Chelidonion, griechisch chelidon (Schwalbenkraut). Ursprünglich wohl auch so genannt wegen der Blütezeit, die mit Ankunft und Abreise der Schwalben zusammenfällt – was wiederum nicht ganz stimmt.

Schöllkraut
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Schöllkraut blüht länger, von Mai bis Oktober. Es wächst bevorzugt an Mauern in der Nähe menschlicher Behausungen und wird ca. 40-50 cm hoch, gelegentlich auch wesentlich höher. Auffällig an den Blüten ist, dass sie nur vier Blütenblätter haben. Daran kann man sie von vielen anderen gelben Blüten unterscheiden. Die weichen hellgrünen Blätter sind leicht behaart und ähneln Eichenlaub. Die Pflanze treibt in unserem Garten als (Beikraut, um nicht von Unkraut zu sprechen) auch noch Anfang Dezember in allen Winkeln. Die Stickstoff liebende Art wächst in den Gemüsebeeten, an Wegrändern – am liebsten offenbar in Trockenmauern. Bricht man die behaarten Stängel ab oder reißt ein Stück Blatt ab, tritt ein gelb-oranger Milchsaft aus – in größerer Dosis giftig, schmeckt bitter und sehr unangenehm.

Das Schöllkraut ist eine Verwandte des Schlafmohns, sieht gänzlich anders aus, ist aber eine stark wirkende Heilpflanze. Seine Giftigkeit ist allerdings umstritten. Manche Stimmen warnen vor jeder innerlichen Anwendung, andere halten sogar den Verzehr großer Mengen von frischem Presssaft für unbedenklich. Vermutlich wird die Giftwirkung unterschiedlich beurteilt, weil Menschen je nach Konstitution auf Gifte unterschiedlich reagieren.

Bereits die Römer bauten das Schöllkraut in der Nähe ihrer Siedlungen an, vermutlich, um daraus Medizin zu gewinnen. In der Volksmedizin galt das Schöllkraut als Heilmittel bei Leberschwellung, Asthma, Gicht, Rheuma, periodisch wiederkehrender Neuralgie, Gallenstauung, Gallensteinen, Gallengries, Milzschwellung, entzündungsbedingten Magen- und Darmbeschwerden, Lungenentzündung, Schwindsucht, Husten, Keuchhusten, Bronchialkatarrh, Nierenleiden, Hämorrhoiden (die Aufzählung setzt sich fort) Warzen, Wechselfieber, Syphilis, schmerzhafte Menstruation, Krebs, Wassersucht, Blasenleiden, Augenleiden, Ohrenbeschwerden – sogar gegen Zahnschmerzen.

Für die Behandlung von Warzen gilt das Schöllkraut als klassisches Mittel. Dazu wird die Warze täglich mit frischem gelb- bis orangefarbenen Saft des Schöllkrauts eingerieben. Die zellteilungshemmende und zellwachstumshemmende Wirkung der verschiedenen Alkaloide lässt die Warze eintrocknen und abfallen.

Noch heute gibt es Schöllkraut-Medizin in der Apotheke. Die Homöopathie kennt Schöllkraut zur Behandlung bei Steinbildungen, chronischen Störungen des Leber-Galle-Systems, Entzündungen der Atemorgane und des Rippenfells sowie bei Rheumatismus und allgemeinen Entzündungen.

In ihrem Buch Gesundheit aus der Apotheke Gottes beschreibt Maria Treben die Behandlung von Grauem Star und Netzhautblutungen mit Schöllkraut. Sie empfiehlt dazu, ein Blatt des Schöllkrauts zwischen den Fingern zu verreiben und auf die geschlossenen Augenlider aufzutragen (wobei nichts in die Augen selbst kommen darf!). Von dieser Heilmethode rührt vermutlich auch die Bezeichnung Augenwurz.

Die Zauberkraft des sagenhaften Krautes galt bei Alchimisten als Hilfsmittel zur Umwandlung von Quecksilber in Gold. Mit dem Saft sollte die Ursubstanz für den Stein der Weisen hergestellt werden können, die sogenannte „Prima materia“. Kein Wunder, dass der gold-gelbe Saft des Schöllkrauts derartige Vorstellungen inspirierte.